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Doom Metal: Die Anti-Hipster-Mucke

Warum Doom Metal dem Mainstream trotzt

Doom Metal

Als Vorab-Sendung empfohlen: Was der Doom ist und was er macht.

Es gibt zwei entscheidende Formeln, über die niemand spricht: Erstens; Metal unterscheidet sich von Hard Rock in erster Linie durch das Ausbeinen des Blues. Das heißt: je mehr Blues enthalten ist, desto weniger Metal ist es. Stattdessen spielen die klassischen Skalen die Hauptrolle. Metal ist also der klassischen Musik verwandt, Hard Rock dem Blues.

Die zweite Formel betrifft das „heavy“ im Metal, das ja ohnehin kaum mehr genannt wird, und das aus gutem Grund. Je schneller ein Song ist, desto weniger heavy kann er sein. Und die meisten mögen ihren Metal schnell. So wie im Punk, der die Rotzigkeit und Einfachheit geliefert hat, um eben auch ein Wörtchen mitzureden. Dass der Punk aus dem Rock ’n‘ Roll kommt und der dann auch wieder aus dem Blues … geschenkt. Und zwar schon allein deshalb, weil der Rock ’n‘ Roll eine erste Rebellion gegen den Blues war. So wie Punk gegen den bluesbasierten Stadionrock wetterte. Nur um den Kreis zu schließen.

Probleme des Doom Metal

Die Probleme des Doom Metal beginnen mit seinem Tempo. So etwas wie einen Speed Doom Metal gibt es nicht, auch wenn es gar nicht selten vorkommt, dass wir einen swingenden Uptempo-Headbanger vor uns haben, der dennoch tief im Doom verankert ist. Aber abgesehen von einer gewissen Atmosphäre, die fast noch wichtiger ist als die eigentliche Geschwindigkeit, ist der Doom Metal vor allem eins: schleichender, kriechender, langsamer Metal.

Als wolle er der Metal-Überwelt und den populären Konnotationen trotzen, treibt der Doom Metal die Tempi konsequent bis an ihre untersten Grenzen, so wie Grindcore-Devies und Beebop-Jazzer die Musik ebenfalls bis an die Grenzen des Möglichen getrieben haben (lustig, denn die Jazz-Dudes aus den 50er Jahren sind nach wie vor die unbestrittenen Geschwindigkeitskönige). Das liegt nicht nur am Sound, sondern auch an den Texten: Doom Metal soll deprimierend sein. Doom Metal hat das Etikett „depressiv-suizidal“ schon lange vor dem depressiv-suizidalen Black Metal für sich beansprucht und leistet mit Leichtigkeit bessere Arbeit, wenn es darum geht, die anämischen und schwarz denkenden Leute davon zu überzeugen, ein Fass aufzumachen. Doom wird dich auf den schwärzesten Sand eines Billionen Jahre alten, toten Planeten werfen, damit du dort auf ewig verrottest, von Gott gehasst und von allen vergessen, um für immer zu leiden, aber niemals zu sterben.

Die Wahrheit ist, dass solche Bilder so weit vom wirklichen Elend des Lebens entfernt sind, dass es gar nicht wenige gibt, die den Doom als Emo des Metal etikettieren, obwohl es vielmehr zutrifft, ihn als Blues des Metal – eben als den Doom des Metal – zu bezeichnen.

Vor den ganzen poppigen Klängen der 40er und 50er Jahre war der Blues das Mittel der Wahl, wenn es darum ging, sich eine Grube in den Schädel zu bohren. Der Doom Metal steigerte das Ganze dann mindestens mal auf 13 und bietet bis heute ein Ausmaß an Elend, wie es die Menschheit noch nie erlebt hat, nun, abgesehen von der Wirklichkeit.

Das heißt, wenn sich Doom-Acts dazu entschließen, es tatsächlich so weit zu treiben: Pentagram haben sich sicherlich nie in Richtung Funeral Doom bewegt, und es scheint, dass viele moderne Bands des Genres vergessen haben, dass die ursprünglichen Doomster – Sabbath, Lucifer’s Friend, Pentagram, False Prophet usw. – klanglich sehr vielfältig waren (Sabbath haben einst eine Mundharmonika benutz, und: ist „Fairies Wear Boots“ nicht eher ein rockig-souliger Jazz-Song?). Trotzdem schafften sie es, absolut düster zu klingen.

Und Buffalo hat allen in den Arsch getreten.

Die Ursprünge liegen im Jazz

Das bringt mich zu einem weiteren Teilproblem: Stoner- und Doom-Bands scheinen zu vergessen, dass die angeblichen Bluesrock-Wurzeln von Sabbath eigentlich näher am Jazz lagen und dass der größte Teil des „psychedelischen Blues“, an den sie sich erinnern, von Zeitgenossen wie Led Zeppelin, aber auch Buffalo, Cactus, Coven, Blue Cheer und Randy Holden, Captain Beyond, Lord Sir Baltimore, Head Machine, Mountain und ähnlichen gespielt wurde. Und Buffalo hat allen in den Arsch getreten. Buffalo? Oh Mann, ich könnte den ganzen Tag darüber schreiben, dass Buffalo der Inbegriff der psychedelischen Bluesrock-Band der 70er Jahre war.

Black Sabbath; 1970

Aber es waren Sabbath mit ihren bluesigen, jazzigen Riffs, die alles in Gang brachten. Bill Ward kannte sich mit Jazz ziemlich gut aus, und Iommis Hände waren zweifelsohne Jazzhände. Jeder Doomster, der etwas auf sich hält, muss sich mit Jazzbands vertraut machen, wenn er jemals Sabbathian Doom Metal „richtig“ spielen will. Selbst die allmächtigen Buffalo und der Rest der psychedelischen 70er Jahre waren nicht annähernd genug mit dieser Tatsache vertraut.

Und das ist eines der Probleme in der Beziehung zwischen Doom und dem Rest des Metals. Doomster sind so sehr im psychedelischen Blues verwurzelt (und die echten Sabbath-Worshipper sollten es im Jazz sein), dass man nicht umhin kommt, sich daran zu erinnern, was die moderne Metalszene überhaupt erst auf den Plan gebracht hat: Punk. Punk hat Ärsche getreten. Punk tritt überhaupt in den Arsch. Punk wird auch weiterhin Arsch treten. Seine Grundlage waren ein paar Rocker-Kids, die den Rock’n’Roll der 50er Jahre spielen wollten, es aber nicht konnten, weil sie zu schlecht an ihren Instrumenten waren. Also vereinfachten sie ihn auf seine nackten Wurzeln: Drei Akkorde und die Wahrheit*. Dann haben sie ihn beschleunigt (so wie es bereits der Jazz vorgemacht hatte). Es war diese Geschwindigkeitskorrektur, die den Metal wohl vor seiner eigenen Verdammnis in den 70ern bewahrte (da viele der so genannten „Mod-Metal“-Bands in den 70ern wenig bis gar keine Publicity bekamen und der Begriff „Heavy Metal“ keiner war, zu dem man sich bekannte, wenn man es darauf abgesehen hatte, eines Tages im Radio gespielt zu werden), und so begann die NWOBHM.

Und erst als diese New Wave Of British Heavy Metal auf den Plan trat, wurde auch Doom Metal zu einer eigentlichen Sache. In den 70er Jahren war praktisch der gesamte Heavy Metal Doom Metal oder Proto-Doom (eine noch frühere Bezeichnung für Metal war „Downer Rock“), und als die NWOBHM den ganzen Blues/Jazz-Unsinn abschaffte, der alten Metal-Welle den Rücken kehrte und sie auf ein Motorrad packte, dachten viele junge Leute, wie komisch es doch eigentlich war, dass so schwere Musik bisher so langsam gewesen ist.

Wir brauchten zu dieser Zeit Geschwindigkeit, Kraft, Aggression, Wut! Damals, ’78, war langsame Musik die lahmarschige Norm und das schnellste, das es gab, war sowas wie Judas Priests „Exciter“. Vielleicht hatte den Kids einst gerade noch „Symptom of the Universe“ gefallen, aber jetzt brauchten die Leute zur Abwechslung mal etwas Schnelles. Die Punks hatten mit dem Hardcore schließlich auch bekommen, was sie wollten. Warum also nicht etwas mit diesem Metal anfangen?

Der Wandel

Allerdings stellten schon ’82, als alles auf der Kippe stand, einige Metalbands fest, dass sie Sabbath so sehr mochten, dass sie wie sie klingen wollten und Hörer nach Bands suchten, die so klangen wie sie. Und zwar genau wie sie. Nicht der Sabbath mit Dio an der Spitze, sondern der Sabbath, der zwischen ’69 und ’73 gefeiert wurde. Das Problem war nur, dass man ’82 die Geburt des Speed, des Thrash, des Black, des Death, des Extreme Metal erlebte. Nicht nur extremen Metal, sondern auch Glam Metal. Nicht nur Glam Metal, sondern auch Power Metal. Als Venom „Welcome to Hell“ herausbrachten, hat niemand gesagt:

„Scheiß drauf, das ist viel, viel zu schnell.“

Jeder wollte fortan Venom in ihrem eigenen Spiel übertreffen. Bis 1986 war Heavy Metal ein Synonym für männliche Aggression.

Doom Metal aber ist nicht aggressiv. Schwer vielleicht, aber nicht aggressiv, zumindest nicht, so lange sich der Sludge noch nicht eingemischt hatte. Wenn du nicht flennst, high bist oder grübelst, schläfst du, wenn du eine Doom-Platte hörst. Headbanging kommt nur selten vor. Du lebst frei und brennst, Kumpel.

Epicus Doomicus Metallicus; 1986

Das hat Candlemass nicht davon abgehalten, satte hunderttausend Alben zu verkaufen. Ich glaube, dass „Epicus Doomicus Metallicus“ unter den Top 3 der meistverkauften Doom-Alben aller Zeiten ist, wenn man die Diskografie von Black Sabbath außer Acht lässt. Ich würde sagen, es ist auf Platz 2, aber ich habe keine Zahlen für „Dopethrone“, und „Manic Frustration“ könnte auch ein Kandidat sein. Zusammengenommen erfüllen Candlemass, der Wizard und Trouble vielleicht die Hälfte der Verkaufsanforderungen für eine Goldauszeichnung. Vielleicht auch ein bisschen mehr. Das sind drei verschiedene Doom-Bands, die es alle seit einem Vierteljahrhundert gibt. Und nicht nur das, es sind auch die größten Bands des Doom Metal. Man kann noch Sleep und Type O Negative dazuzählen, aber Stoner Metal und Goth-Doom sollten wir ein anderes mal besprechen. Ja, ich weiß, dass der Wizard und Trouble (zu dieser Zeit) Psychestoner sind/waren, aber ich bitte um Nachsicht.

Was sagt euch das? Doom Metal, eines der 8 Haupt-Subgenres des Heavy Metal (d.h. 1 – Heavy; 2 – Speed; 3 – Thrash; 4 – Power; 5 – Death; 6 – Black; 7 – Glam; 8 – Doom) hat nie so etwas wie kommerziellen Erfolg gehabt. Während der Erfolg anderer Subgenres in Millionenhöhe gemessen werden kann, kann die erfolgreichste Nicht-Sab-Doom-Band nur in Zehntausenden gemessen werden. Meine Güte, es gibt noch immer Metalheads, die gar nicht wissen, dass es Doom überhaupt gibt. Dem ein oder anderen dämmert es dann allerdings:

„Ist es nicht komisch, dass Heavy Metal mit einem so langsamen Song wie „Black Sabbath“ begann, obwohl Metal doch angeblich schnell sein soll?“

Natürlich kann man sagen, dass Black Sabbath eine Doom-Metal-Band sind; dann hat man den ersten (und bisher einzigen) Hundert-Millionen-Seller des Doom Metal. Und Alice in Chains waren entweder schon immer der Inbegriff des grungigen Doom Metal oder ist es heute („Black Gives Way to Blue“ ist eine Doom Metal-Platte, Ende der Diskussion). Da kann man noch ein paar Dutzend Millionen Platten drauflegen. Type O Negative? Der gesamte Gothic Metal? Auch Sludge Metal. Kyuss hatten auch einigen Erfolg. Melvins auch ein bisschen.

Doch trotz alledem hat sich der Doom Metal selbst dem Erfolg entzogen. Beim Black Metal ist das nicht anders, aber der Leitspruch des Black Metal lautet von jeher „Fuck the Masses“ (und er hat die mächtige Kontroverse, die ihn vorantreibt); Doom-Metaller haben nie erklärt, dass sie nicht erfolgreich sein wollen, und wenn man es genau nimmt, gibt es absolut nichts, was ein Stoner- oder Doom-Metal-Album daran hindert, auf Platz 1 der Charts zu landen. Es gibt ein paar Rock ’n‘ Metal-Hipster, die das lieber nicht sehen wollen (und sich gleichzeitig darüber beschweren, dass heutige Musik eigentlich zum Kotzen ist), aber abgesehen von ihnen kann ich keine wirkliche Feindseligkeit gegenüber einem großen Erfolg erkennen (abgesehen von den unvermeidlichen Sell Outs).

Befragt man einen gewöhnlichen Metalhead über Musik, dann wird man kaum zu hören bekommen, dass Metal langsam sein kann. In der Hauptsache geht es darum, schnell, schneller, am schnellsten zu sein. Am besten so schnell, dass das Licht dagegen langsam ist. Die Vorstellung von langsamen Metal ist wie die Vorstellung von flammendem Eis, dass es in der Wüste schneien kann, oder dass die Beatles beschissene Songs haben!

Und hier hast du die Grundlage dafür, warum Doom Metal als der geistig zurückgebliebene jüngere Bruder des Heavy Metal gilt, der ’70 auf der Türschwelle eines Kindergartens ausgesetzt wurde.

Erinnert ihr euch noch an ’82, als der Metal so richtig rasant wurde? Es war nicht nur der Speed Metal, der den Untergang brachte, auch der Glam spielte eine Rolle. Eine Metal-Band war entweder aggressiv und schneller als ein Meteor, oder sie war überdreht, hatte dicke Föhnfrisuren sang den Ficksong deiner Mutter. Die weniger ausgefeilten Genres des extremen Metal, wie der frühe Death- und Black Metal, wurden zum Teil wegen ihrer grauenhaften Klangqualität, vor allem aber wegen ihres rauen, unnahbaren Sounds übersehen. Aber es war dieser Sound, der ihnen Fans bescherte. Womit sollte Doom hier noch prahlen?

In den 80ern konnte Doom keine Preise gewinnen. Aber in den 90er Jahren sah es kurz so aus, als könnte er sich durchsetzen. Grunge war wohl der erste Schrei des Doom in der Szene. Die Melvins, die frühen Nirvana und andere waren die besten Vertreter des Sludge der späten 80er Jahre. Natürlich waren sie das, sie waren fast die einzigen Nicht-Punk-Sludge-Bands. Aber auf die Melvins kommen wir ein andermal zurück, und ich habe keine Lust, über Nirvana zu reden; stattdessen sind Soundgarden und Alice in Chains zwei Bands, die würdiger sind.

„Badmotorfinger“ und „Superunknown“ waren im Grunde bereits damals das, was wir heute als Stoner bzw. Stoner Doom bezeichnen würden. Niemand kann mir erzählen, dass „Mailman“, „4th of July“ und „Superunknown“ rifftechnisch gesehen einfach absolute Überflieger sind. Oder nehmen wir Alice in Chains. Niemand wird behaupten können, dass „Dirt“ kein mörderisch guter Stoner-Doom-Song ist.

Satan kommt (oder er kommt nicht)

Ein Running Gag in Metal-Kreisen ist, dass sich eher der leibhaftige Satan blicken lassen wird, bevor Doom Metal populär wird. Doch genau in den Jahren ’92, ’93, ’94 sahen wir, wie Stoner Doom unter dem Label ‚Grunge‘ in die Charts aufstieg. Das geschah praktisch neben der Explosion von Stoner Rock und Stoner Metal und der Diversifizierung des Doom Metal in die extremeren Genres (mit der Entstehung von Gothic Doom, Death-Doom usw.). Vielleicht ist das der Grund, warum wir dieses Zeitalter nicht als goldene Zeit für Doom betrachten: 1993 wurde der Heavy Metal schließlich für tot erklärt, doch zu dieser Zeit war der Doom Metal ironischerweise wohl auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung. Und da Satan schließlich kommen soll, bevor Doom Metal populär wird, ist es nur logisch, dass die großen Labels aus Soundgarden oder Alice in Chains kein Kapital schlagen wollten, nicht wahr? Mal im Ernst: Wie viele Post-Grunge-Bands ahmen Soundgarden nach? Alice in Chains (deren härteres Material; ignorieren wir „Days of the New“, und hüllen wir auch über Bands wie Godsmack den Mantel des Schweigens).

Der Okkult-Rock-Boom

Mit die größten Doom-Veröffentlichungen stammen aus den 00er Jahren, von Warning über Celtic Frost bis zu Electric Wizard und… und… und…

Aber das war auch die Zeit des Okkult-Rock-Boom. Für einige war es eine große Überraschung, dass zumindest eine Form von doomigem Metal tatsächlich zu einem „Trend“ werden kann. Andererseits weiß ich nicht, wie viele Leute behaupten werden, dass einige dieser okkulten Rocker eigentlich Doom Metal in Reinkultur sind.

Abgesehen davon war der Okkult-Rock-Boom eigentlich gar kein richtiger Boom. Man hörte Witchcraft oder Royal Thunder nicht im Rockradio. Sie erreichten kein Platin oder gar Gold und waren so im Untergrund wie eh und je, wurden aber meist von Hipstern hochgehalten, die damit beweisen wollen, dass sie klüger sind als du.

Da beschließen also ein paar Kiffer, die sich auf YouTube darüber beschweren, dass echte Musik tot ist, dass Rock tot ist und Pop scheiße ist (so wie in den letzten 150 Jahren), sich die Haare wachsen zu lassen (am besten einen langen Bob, Rockerwellen, Zottelhaar oder Wafro), ein paar Schlaghosen und Jeanswesten zu kaufen, ein paar Gitarren aufzumotzen, eine weibliche Sängerin zu finden und eine Psycho-Horror-Okkult-Doom-Rock-Metal-Retroszene zu gründen. Nicht schlecht, aber kein Doom. Es ist das gleiche Zeug im Stil von Sabbath, das wir schon so oft gesehen haben. Und das ist der Nachteil von Doom, nämlich dass er nicht den Spielraum hat, den einige andere Genres haben: Man muss wie Sabbath klingen, um Doom zu sein. Zumindest sagen das die Kritiker.

Einerseits ist es wahr, dass die besten Doom-Platten diejenigen sind, die Sabbath am besten nachahmen. Andererseits ist die Behauptung, dass Doom keinen Spielraum hat, an sich schon sehr weit hergeholt – wie nennt man denn Death Doom, Funeral Doom, Drone, Stoner, Sludge, Goth, Grunge, all diese doomorientierten Genres? Wie viel Spielraum haben denn Thrash Metal, Power Metal, Death Metal? Für sich allein genommen nicht viel. Irgendwann könnte man jedes Thrash-Metal-Album mit einem der Big 4 vergleichen, jeden Power Metal mit Iron Maiden, jeden Death Metal mit Possessed oder Morbid Angel.

Der Doom Metal hat weitgehend das getan, was diese Genres getan haben, musikalisch und textlich, und sich so weit ausgedehnt, wie es innerhalb der traditionellen/epischen Kerngenres möglich ist. Und doch hat er nicht einen Bruchteil des Erfolges oder der Bekanntheit erlangt.

Das ist interessant, weil wir dort im vergangenen Jahrzehnt ein Psychedelic/Blues-Revival erlebt haben. Man konnte feststellen, dass immer mehr Menschen zu den Psych-Rock-Shows strömten. Das war nicht immer so; es gab eine Zeit, da galt man als Rock ’n‘ Roll-Dinosaurier, wenn man es wagte, mit irgendeinem Flansch in der Musik zu spielen und auch nur annähernd so etwas wie zotteliges Haar auf dem Kopf hatte. Damals, in den Achtzigern, waren die Musikhörer bereit für die übergroße Verzweiflung, die der Doom mit sich bringen konnte, aber viele mochten die Art und Weise nicht, wie er verpackt war.

Damit kommen wir zurück zur vorletzten Frage: Warum wird der Doom Metal so übersehen?

Doom Metal wird übersehen, weil er nicht den gängigen Vorstellungen und Erwartungen entspricht, was Heavy Metal sein soll. Er hat seine Wurzeln in einem Jahrzehnt, das eher für Discokugeln und die Bee Gees als für Heavy Blues und Deep Purple bekannt ist. Er ist nicht modern genug, um ernst genommen zu werden, aber er ist zu retro für Fans des traditionellen 80er-Metal, um ihn zu verstehen. Er war die vergessene Geburtsstunde des Metals in den 70ern, schaffte in den 80ern nie den Durchbruch, wurde in den 90ern verleugnet und galt bis zum Ende der 00er Jahre als nicht mehr zeitgemäß. Er ist zu deprimierend für Pop und zu übertrieben für alles andere. Die populäre Konnotation von Doom ist… nichts, weil es keine populäre Konnotation von Doom Metal gibt, weil er nicht populär ist.

Das Einzige, was einem Erfolg nächsten kommt, ist, dass Black Sabbath in aller Mund bleibt, was normalerweise zu einer großen Fangemeinde führen würde, wenn es doch so viele Leute gibt, die zu „gutem Heavy Rock and Roll“ zurückkehren wollen, wie Foren, YouTube-Kommentare und Blogs vermuten lassen. Aber der Begriff wird immer wieder unterlaufen und durch „doom and gloom“, „Sabbath-inspirierte Musik“, „schwerfälliger Metal“, „langsame und schwere Musik“, „düstere Musik“ und mehr ersetzt, wobei er selten beim Namen genannt wird. Wenn jemand auf einen Doom-Metal-Song stößt, ist seine erste Reaktion meist „zu langsam“ oder „ich bevorzuge schnellere Musik, aber das hier ist auch gut“. Sie wissen nicht recht, wie sie es nennen sollen. Die frühen Doom-Platten der 80er Jahre hatten keinen Erfolg, weil sie unter den heutigen Bedingungen nicht vermarktbar waren und weil sie roh, unbearbeitet und unabgemischt klangen; außerdem klangen einige eher wie experimentelle Nebenprojekte als wie echte Bands.

Verdammt, die deprimierende Geschichte des Doom könnte einen soliden Doom-Metal-Song ergeben.

Wird Doom Metal jemals populär werden? Die Sache ist die, dass wir nur einen kleinen Paradigmenwechsel bräuchten. Irgendwann muss man die aktuelle Psyche der Musikindustrie in die richtige Bahn lenken, sie einfach an der richtigen Stelle einschnappen lassen.  Die Hipster-Indie-Rock-Welle von 2013 hat versehentlich Folk und Psychedelic Rock wieder populär gemacht, da sollte der Metal doch nicht allzu weit zurückliegen.

Der extreme Metal ist so schnell, wütend und aggressiv wie möglich geworden. Heutzutage ist schnelle Musik aber nicht mehr ganz so rebellisch wie früher, vor allem seit Rebellion zum Mainstream geworden ist. Das bedeutet, dass sich die Jugend an Doom Metal, dieser langweiligen, matschigen Art von ultraschwerer Musik, festklammern könnte, nur um ihren Eltern eins auszuwischen. Die Aussichten scheinen sogar ziemlich gut zu sein.

* Der Songwriter Harlan Howard prägte diesen Ausdruck in den 50ern (Three Chords and the Truth), der seitdem gerne zitiert wird.

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Host im Podcast "Work of Sirens"

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