Ein Leben wie ein Käfer | Leaf Hound: Growers of Mushroom

Eigentlich sind Leaf Hound nun wirklich kein Geheimtipp mehr, trotzdem sind sie einer der Hunderten von Gruppen, die aus der “Progressive Blues”-Szene der späten 60er Jahre im Vereinigten Königreich hervorgingen und dann eine härtere Richtung einschlugen, als sich der Musikstil Anfang der 1970er Jahre änderte. Ihre Geschichte beginnt im Süden Londons mit dem Sänger Peter French und dem Gitarristen Mick Halls, beides Cousins, die zusammen in einer Reihe von kleinen Bands spielten, darunter The Switch, Joe Poe und Erotic Eel. Wie so viele andere wurde das Duo stark von Cream und Hendrix beeinflusst.

Irgendwann im Jahr 1968 standen sie ohne Band da und waren auf der Suche nach neuen Mitgliedern, als der Bassist Bob Brunning (ehemals Fleetwood Mac und Savoy Brown) auf sie zukam und ihnen vorschlug, sich seiner Blues-Band anzuschließen. Dies taten sie und die Brunning Hall Sunflower Band nahm sogar ein Album mit dem Titel “Bullen Street Blues” auf.

In Leaf Hounds Ecke des Rock-Stammbaums finden sich sogar Querverweise zu Mitgliedern von so illustren Zeitgenossen wie Atomic Rooster, Cactus, Foghat und Free. Später sollte Sänger Pete French bei Deep Purple und Uriah Heep vorspielen, musste sich aber gegen Gesellen wie David Coverdale und John Lawton geschlagen geben.

Growers of Mushroom
Leaf Hound

Wenn man das alles weiß, sollte es nicht allzu schwer sein, sich vorzustellen, wie Leaf Hound klingen. Oft fällt der Name Led Zeppelin, nur dunkler, kruder, hässlicher und im Allgemeinen ohne jeglichen Sinn für Subtilität (wie man das auch Grand Funk Railroad nachsagte). Allerdings ist der Vergleich mit Zeppelin ziemlich weit hergeholt. Was allerdings nicht von der Hand zu weisen ist, sind Vergleiche mit Sir Lord Baltimore. Es scheint fast so, als gäbe es eine unterschwellige transatlantische psychische Verbindung zwischen diesen beiden Gruppen, die ihre Debütalben etwa zur gleichen Zeit aufnahmen, ohne etwas voneinander wissen zu können. Solange niemand eine Verbindung zwischen ihnen findet, müssen wir davon ausgehen, dass die damalige Zeit Musik wie Leaf Hound & Sir Lord Baltimore einfach ERFORDERLICH machte, also schossen sie aus allen Ecken der Welt wie Pilze aus dem Boden. Genauso wie ein ganzer Haufen verschiedener Typen, die alle ungefähr zur gleichen Zeit in verschiedenen Teilen der Welt das Radio erfunden haben.

“Freelance Fiend” macht den Anfang mit einem schrillen an Baltimore erinnernden Riff und einer funkigen Kuhglocke (man kann nie zu viel Kuhglocke haben, oder?). Was dieses Album ausmacht, ist die Sabbath-ähnliche Klangmischung aus tiefer Rhythmusgitarre und massiven Bässen, die sich zu einem grindigen Maschinenriff gesellen. Wer nicht glaubt, dass das die frühen Anzeichen des Metal sind, hat vieles nicht verstanden.

Die Musik von Leaf Hound wurde erstmals 1971 in Deutschland auf Telefunken veröffentlicht (wo sie viel auf Tournee waren; dieses selbstbetitelte “erste” Album war das gleiche wie “Growers of Mushroom”, nur mit ein paar Ausnahmen). Später im selben Jahr wurde das Album in ihrem Heimatland Großbritannien von Decca veröffentlicht, mit neun Titeln. Die CD-Wiederveröffentlichung auf dem Label “See For Miles” enthält zwei Bonustitel. Dasselbe Label hat auch das “Barbed Wire Sandwich”-Album neu aufgelegt, denn wenn man es genau nimmt, gingen Leaf Hound aus den “Black Cat Bones” hervor. Und hier gehörten Gitarrist Paul Kossof und Schlagzeuger Simon Kirke zum Line-Up; beide verließen die Band jedoch, um Free zu gründen, bevor die Aufnahmen zum einzigen Album stattfanden. Und Gitarrist Rod Price ging nach Amerika, um die erfolgreichen FOGHAT zu gründen.

Jetzt musste natürlich ein neuer Bandname her, abgesehen von neuen Mitgliedern. Da Peter French ziemlich viel Horrorgeschichten las, bekam er eine von Herbert Van Thal herausgegebene Anthologie der “Pan Book of Horror Stories” in die Finger. Dort gab es eine Geschichte über einen Hund, der mit Schlamm und Blättern bedeckt aus dem Grab zurückkehrte, also ein Blätterhund. Der Name hat genauso wenig mit Drogen zu tun wie der Titel “Growers of Mushroom”, der ebenfalls aus einer Horrorgeschichte stammt, wo es um eine Frau ging, die ihren Mann langsam vergiftete, indem sie ihm tödliche Fliegenpilze kochte. Es ist natürlich offensichtlich, warum die ganze Stoner Community hellauf begeistert von dieser absichtlich falsch verstandenen Band war. Allerdings ist das Titelstück tatsächlich das albernste Lied auf dem Album, eine straffe, mehrteilige 2-Minuten-Pop-Operette im Stile von The Who’s “Happy Jack” oder vielleicht MC5’s “Human Being Lawnmower”. Liest man die Lyrics, bestärkt das dann auch den Eindruck, es ginge um Drogen: “Niemand konnte erkennen, dass wir Pilze züchteten!” Mit Zeilen wie “Mein Leben war wie ein Käfer, der die Wand hinunter krabbelte”, muss man sich auch nicht gerade wundern.

Das 1971 erschienene Album hat sich im Laufe der Jahre zu einem echten Kultklassiker des Hard Rock-Genres entwickelt, der von jeder neuen Generation von Rockfans wiederentdeckt wird und gilt als enorm wichtiges Album in der Entwicklung sowohl des Heavy Metal als auch des Stoner Rock. Sammler können damit rechnen, mehr als 1000 Euro für ein neuwertiges Exemplar der Original-LP zu zahlen. Sie wurde 1970 in einer kurzen 11-stündigen Session aufgenommen und abgemischt, aber als sie 1971 von Decca veröffentlicht wurde, hatte sich die ursprüngliche Inkarnation von Leaf Hound bereits wieder aufgelöst.

Nach der Trennung von Leaf Hound schloss sich Frontmann French mit Cozy Powell zusammen ATOMIC ROOSTER als Leadsänger an und nahm mit der Band das Album “In Hearing Of” auf. Während der erfolgreichen Tournee von Atomic Rooster durch Amerika und Kanada lud dann Carmine Appice French ein, der amerikanischen Rockgruppe CACTUS beizutreten; er nahm an und verließ Atomic Rooster, um mit Cactus auf Tournee zu gehen und das Album “Ot ‘n’ Sweaty” aufzunehmen.

“Growers of Mushroom” wurde schließlich 1994 auf dem Label See For Miles offiziell auf CD wieder veröffentlicht, und zu diesem Zeitpunkt entdeckte eine ganz neue Generation von Rockfans auf der ganzen Welt seine Vorzüge.

Als sich der Ruf und die Popularität von Leaf Hound verbreiteten, wurde French schließlich sogar dazu überredet, 2004 eine neue Version der Band zusammenzustellen. Nach der Veröffentlichung einer Live-Version von Freelance Find auf Lee Dorians Rise Above-Label im Jahr 2006 brachte diese neue Inkarnation der Band 2007 das zweite Album “Unleashed” heraus, das hervorragende Kritiken erhielt.

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