The Agony and Ecstasy of Watain

Die satanischen Black-Metal-Urgesteine Watain veröffentlichen am 29. April ihr siebtes Album “The Agony and Ecstasy of Watain“, das auch gleichzeitig das erste bei Nuclear Blast ist. Damit öffnen sie eindeutig ein neues Kapitel in ihrem dunklen Schaffen. Und das ist der Zahl 7 höchst angemessen. Tatsächlich könnte man sogar so weit gehen und das Album als Summe aller Tatsachen im Watain-Kosmos betrachten.

Für viele sind Watain die Verkörperung des Black-Metal-Ethos, da sie sich nicht nur in ihrer Musik, sondern in ihrem ganzen Wesen dem Ziel verschrieben haben, ein Portal in eine andere Welt zu bieten, aber sie sind auch berüchtigt dafür, an vielen Stellen Kontroversen auszulösen.

Es ist zwar richtig, dass Eric Danielsen in fast jedem Interview, das er führt oft die gewöhnlichen Black-Metal-Standartsprüche von sich gibt, und damit könnte der Fall an sich erledigt sein. Aber was, wenn sich dazu die Musik an der grenze zur genialität bewegt? Und dann sagt Eric manchmal doch Sätze wie diese über das neue Album:

“Der Wortlaut und das Thema des Titels laufen letztlich auf die einfache Idee hinaus, dass wir immer mit emotionalen Extremen arbeiten. Wir haben schon immer mit den zwei Gegensätzen Dunkelheit und Licht gearbeitet. Man hat diese furiose wilde Seite, aber auch diese heilige, transzendente Seite. Das ist es, was Black Metal meiner Meinung nach ausmacht. Es ist das Zusammentreffen von existenziellem Horror, dem Kampf ums Leben und der magischen, spirituellen, gottähnlichen Seite der Menschheit.”

Das ist deshalb ein interessanter Ansatz, weil er vom üblichen Bösewicht-Geschwafel abweicht, das meiner Meinung nach argumentativ ohnehin auf völlig tönernen Beinen steht. Eric ist also alles andere als ein Dummkopf, und vielleicht kommt es auch immer darauf an, welche Kapazitäten der Interviewer hat. Ich habe noch ein weiteres Beispiel dafür:

“Wir haben Watain immer als etwas von der Welt Getrenntes betrachtet. Wir haben die Band gegründet, weil wir einen Platz in der Welt haben wollten, der nicht wie alles andere ist, eine eigene Realität. Wir lassen uns so wenig wie möglich vom Geschehen um uns herum inspirieren. Ich denke, man könnte sagen, Watain ist eine Art Zufluchtsort. Der kann einen wirklich durch die dunkelsten Zeiten bringen, wenn man in seinem Leben keinen anderen Zufluchtsort hat, und mit Watain haben wir das irgendwie zum zentralen Aspekt unseres Lebens gemacht. Diesen Zufluchtsort. Chaos und Aufruhr sind eine Konstante in der menschlichen Geschichte.”

Auf dem neuen Album haben wir 10 Tracks mit epischen, brutalen und gelegentlich melodischen Black Metal-Ausflügen. bekannt ist ja bereits die erste Single “The Howling”, die gerade genug Groove hat, um ein Gefühl von drohendem Unheil zu erzeugen. Und Songs wie “Serimosa” bieten einen anderen und grandioseren Ansatz, bei dem der grimmige Gesang eine äußerst bedrückende Atmosphäre erzeugt. Was wir hier finden ist kein geradliniges Lärmfeuerwerk, wie man es vielleicht von traditionellerem Black Metal erwarten würde, aber Watain ist über jegliche Art von Normalität längst hinaus. Tatsächlich unterstreicht Eric in seinen vorhin genannten Zitaten die Absicht der Musik, einen Schutzwall gegen die echten Wölfe vor unseren Türen zu bieten.

Und Eric erklärt sogar den Begriff:

‘Serimosa’ erzählt von der elektrisierenden Vorstellung der Ankunft einer großen Macht. Das Auftreten von Rissen im Damm, der die Flut des großen Meeres aufhält. Ein Besucher aus dem Jenseits, der die Schwelle zur materiellen Welt überschreitet. Genau wie “Watain” ist “Serimosa” der Begriff einer Macht unbekannten Ursprungs, die in die Welt kommt und keine Geschichte hat, und der man sich mit Ehrfurcht nähern sollte. Das Wort hat seine sprachliche Wurzel im lateinischen Wort Seri (“Serum”), zusammen mit Dolorosa (“Schmerz”), Nebulosa (“Sternennebel”) und Lacrimosa (“tränenreich”), so als ob diese Wörter und ihre Bedeutungen in einem gesprochen würden.

Das ist natürlich alles starker Tobak und führt weit über die Musik hinaus in ein spirituelles und philosophisches Register, dem man sich widmen kann, aber nicht muss. Tatsächlich ist es so, dass durch jeden einzelnen Ton auf diesem Album auch so klar wird, dass hier eine ganz besondere Macht am Walten ist. Solche Klänge fabriziert man nicht durch Zufall oder einfach nur, weil man gute Musiker um sich hat.

Und das ist ein Punkt, der sich von allen bisherigen veröffentlichungen der Band unterscheidet. Watain haben das Album zum ersten Mal live eingespielt. Eigentlich bestehen Watain ja nur aus drei Leuten: Eric Danielson an Gesang und Bass, Hakan Jonsson an den drums und Pelle Forsberg an der Gitarre. Diesmal aber machte Hakan die Aufnahmen nicht mit, stattdessen war das gesamte Live-Ensemble im Studio, mit Emil Svensson am Schlagzeug und zusätzlich Hampus Eriksson an der Gitarre und Alvaro Lillo am Bass, also seit 2014 ein eingespieltes Team. es wurde also keines der Instrumente separat aufgenommen. Dadurch entsteht natürlich ein absolut intensives Gefühl, tatsächlich sollte Heavy Metal ganz genau so gespielt werden. Ich habe zu Beginn lange darüber nachgedacht, warum das Album so eine unglaubliche Wucht hat. Hier ist die Antwort. Und natürlich auch, dass die drei Kernmitglieder, die am Songwriting beteilt sind, auch wenn Eric den Löwen bzw Wolfsanteil ausführt, schon als Teenager im schwedischen Uppsala zusammenkamen. Man darf ja nicht vergessen, dass es heute fast keine Band mehr gibt, sondern nur noch Projekte, denen jede echte Band von vornherein haushoch überlegen ist. Wir sprechen hier von 1998, also einer Zeit, da die zweie Black-Metal-Welle langsam am versiegen war.

Die größten Bands waren Dimmu Borgir und Cradle of Filth. Man könnte sogar so weit gehen und behaupten, dass Watain eine Gegenreaktion auf diese Bands war, die damit das wieder zurück bringen wollte, was einstmals als echter Black Metal galt: das ernsthafte satanische und extreme Thema. Solche Aussagen erfordern natürlich immer auch die Frage nach dem, wer denn tatsächlich eine definitive Formel für den Black Metal kennt. Auch das ist ja mehr als alles andere eine Glaubensfrage. Für Cronos zum Beispiel waren die ganzen norwegischen Kids gar kein Black Metal, wie er ihn verstand. Ihm fehlte das Augenzwinkern und der Witz und er hätte es lieber gesehen, wenn Euronymus diesen Begriff nicht verwendet hätte sondern stattdessen sowas wie Norse Metal. Das steht natürlich im völligen Kontrast zu dem, was Eric ausdrücken will. Watain sind so sehr versucht, durch ein Gefühl von Chaos eine größere individuelle Freiheit zu erlangen.

Aber um ehrlich zu sein, höre ich auf dem Album nicht viel Chaos, sondern ein perfektes Zusammenspiel von Gleichgesinnten, die eine Klanglandschaft errichten, die schlichtweg atemberaubend ist.

Black Cunt und Leper’s Grace sind weitere grandiose Stücke, die auf dem ganzen Album ohnehin nicht abreißen. Es ist ja nicht nur das Wechselspiel, die Dynamik, der Kontrast zwischen Raserei und epischen Momenten, die hier sofort ins Ohr gehen, es sind die unzähligen kleinen Details. Manche davon entdeckt man überhaupt erst auf dem Kopfhörer, aber auch diejenigen, die offensichtlich sind, wie eben in Black Cunt das spezielle Lead, das überraschend auftaucht, oder später im vorletzten Song Funeral Winter, als eine ganz bestimmte Gitarrensequenz erst zum Schluss hin fast schon verschwendet wird. Überhaupt strotzen Watain hier voller spielerischer Finesse und Inspiration. Keiner wird ihnen in diesem Jahr in Sachen Black Metal auch nur ansatzweise nahe kommen können. Mit diesem Album haben sie sich endgültig in ihr eigenes genre verzogen.

Not Son Nor Man Nor God teilt das Album sozusagen in der Mitte mit einem disharmoischen Klavierchord, Donnerrumpeln und einem melodischen, wehmütigen, kurzen Gitarrenlead, bevor dann mit Before the Cataclysm mit sieben Minuten das längste Stück des Albums angestimmt wird und den eigentlichen Höhepunkt des Albums vorbereitet. Diese Anordnung ist gar nicht so leicht zu fassen, aber an dieser Stelle wirkt Before the Cataclysm wirklich wie ein Ouvertüre mit seinen ständigen Wechseln, dem eingefügten klassischen Heavy Metal Riff, das immer wieder von der epischen Atmosphäre verschluckt und eingefangen wird und zum Schluss sogar eine typisch nordische Skala auf der Gitarre auspackt. Inhaltlich beschäftigt sich Eric hier intensiver mit dem Tod als gewöhnlich. Das bezieht natürlich auch auf seinen Freund Selim Lemouchi, der sich 2013 das Leben genommen hat, aber auch auf andere Todesfälle, die in letzter Zeit im privaten Umfeld zu bewältigen waren.

Das Stück ist fast schon progressiv und rutscht nahtlos in die Einleitung zu We Remain, auf dem dann Farida Lemouchi ihre gnadenlos geniale Stimme auspackt, bevor Eric das Thema übernimmt. Überhaupt ist auch Eric hier wie auf dem ganzen Album in einer außergewöhnlich guten stimmlichen Verfassung und passt sein Krächzen oder Kreischen der jeweiligen emotionalen Struktur der Songs besser an als jeder andere seiner Zunft. Lyrisch dreht sich der Song um die fünf elementaren Flügel des Pentagrams und die Geheimnisse, die in diesem alten Symbol stecken. Es ist ein Song über vergessene Dinge, an die man sich erinnern sollte, über die Suche nach Wahrheiten, die verloren gegangen sind, über die ewig brennende Flamme, die die Dunkelheit vergangener Zeiten erhellt, über das Vergehen von Äonen und unseren streitbaren Platz darin.

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